Vergesst die Liebe nicht! oder Vom Heiligen Geist

Wenn ich an den Heiligen Geist denke, kommt mir sofort ein Bild aus Dantes „Göttlicher Komödie“ in den Sinn. Dante geht von der Hölle über das Fegefeuer zum Paradies. Dort schaut er die Trinität und beschreibt sie mit folgenden Worten: „Im tiefen und klaren Wesen des hohen Lichtes erschienen mir drei Ringe in verschiedenen Farben und von derselben Größe. Der eine schien die Widerspiegelung des anderen zu sein wie Regenbogen von Regenbogen, der dritte schien Feuer, gleichermaßen ausgehaucht von den anderen.“

Dante sieht drei Ringe, die den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist symbolisieren. Jeder dieser Ringe ist ein Bild für Vollkommenheit und Unendlichkeit. Die Ringe sind gleich groß, d.h., keine der Personen der Trinität steht höher als die andere, ist irgendwie mächtiger als die andere. Jeder Ring hat eine eigene Farbe, trägt also trotz der wesenhaften Gleichheit etwas Spezifisches in sich. Der dritte Ring steht für den Heiligen Geist. Er scheint Feuer zu sein. Was bedeutet das?

Aus der Beziehung zwischen Vater und Sohn wird brennende Energie ausgehaucht. Sie ist brennende Liebe voller Kraft. Diese Liebe muss so stark sein, dass aus ihr alles hervorbrechen kann – z.B. so etwas Gewaltiges wie die Schöpfung. An solch eine Kraft muss man immer denken, wenn man sich den Heiligen Geist vorstellt. Gott ist die Liebe selbst und die Liebe selbst ist feurig. Sie ist keine gutherzige Großvater-Liebe, die es gern hat, wenn die Menschen sich amüsieren. Das wäre zu wenig. C.S. Lewis beschreibt diese Liebe als „das verzehrende Feuer selbst, die Liebe, welche die Welten schuf“. Es ist eine Liebe, die alles schafft, alles lebendig macht, gleichzeitig sicherlich auch alles herausfordert und eine geheimnisvolle Verbindung des Ewigen zu uns Menschen bildet.

Dante schreibt, dieser Feuerring scheine wie ausgehaucht von den beiden anderen. Die Liebe selbst ist neben aller Kraft auch ganz sanft. Die Liebe zwischen Vater und Sohn bringt im Heiligen Geist zugleich feurige Kraft und Sanftheit hervor.

Mich fasziniert das Bild des Atems, das hier und an vielen Stellen mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht wird. So spricht Jesus in Joh 20,21f zu seinen Jüngern: „‚Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.‘ Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: ‚Empfangt den Heiligen Geist!‘“ Hier findet durch den Heiligen Geist eine Beseelung des Menschen statt. Jesus sendet seine Jünger mit dieser Beseelung zu den Menschen aus, damit sie seine Botschaft verkünden und verwirklichen. Sein Atem entfacht eine feurige Be-geist-erung, die weitergetragen werden soll. Der Heilige Geist schenkt Leben, Erkenntnis, Kraft und Glauben. Er ist die lebendigmachende Liebe, die Gott unter den Menschen verbreiten möchte.

Die Zusammenhänge zwischen dem Atem und der Liebe finden sich auch im Roman „Große Liebe“ von Navid Kermani. In eine Liebesgeschichte bindet er hier immer wieder Auszüge aus der islamischen Mystik ein. An einer Stelle beschreibt er den Atem, der in einer Weise ausströmt, dass er im Liebenden das Bild des Geliebten formt. Der Atem des einen verbreitet sich beim Küssen oder Umarmen im anderen und was so ausgeatmet wird, geht jedem der beiden Liebenden durch und durch. Dieser tiefe Atem entweicht der Quelle der göttlichen Liebe und geht durch die Geschöpfe hindurch. Damit will der Ewige sich offenbaren, auf dass die Liebenden ihn erkennen. Die Liebe stellt also im Atem die Verbindung zwischen dem Göttlichen und den Menschen her und zielt auf das Offenbarwerden Gottes.

Ist Liebe nicht wie Atmen? Wenn man einen Menschen liebt, läuft diese Liebe wie das Atmen automatisch immer mit. Sie hält einen am Leben. Auch denkt man an den Geliebten bewusst oder unbewusst in jedem Moment. Das Denken an ihn läuft wie das Atmen mit. Dadurch ist man nie allein, sondern wie beseelt durch die geistige Gegenwart des Geliebten im Herzen. Man wird von einer sehr starken Kraft getragen. Sie ist nicht konkret und fassbar, sondern geistig. Das macht sie umso stärker.

Atem und Geist, Liebe und Erkenntnis sind mystisch miteinander verbunden. Der durch den Heiligen Geist beseelte Weg ist ein lebendiger Weg, den man nur in der Liebe gehen kann und der zu den größten Gütern führt. Letztlich führt er zur Erkenntnis des Wesens der Wirklichkeit. Das erst ist für den Menschen waches Leben, erst so lebt er im Ganzen und im Wesen, weil seine Sehnsucht zutiefst dahin strebt.

Wenn der Mensch die Wirklichkeit erlebt, ist sein Erleben gebrochen. Wir erleben erst darum bewusst, weil wir über unser Erleben reflektieren können. Reflexion ist also absolut notwendig für uns. Gleichzeitig trennt uns diese Reflexion aber auch vom Erlebten. Wir sind nicht mehr eins mit dem, was wir erleben, sondern beobachten uns selbst beim Erleben. Navid Kermani beschreibt eine Szene, in der zwei Verliebte dieses Gebrochensein beim Eisessen gerade durch die Liebe verlieren: „So wie für Kinder, die sich in einem Spiel verlieren oder sich weh getan haben, nichts anderes existiert als das Spiel oder der Schmerz, kosteten die beiden jede Pore des Eises aus. Aber anders als Kinder hatten sie zugleich ein Bewusstsein dessen, was ist, vergaßen sie sich nicht, sondern nahmen… alle Erscheinungen wahr, ohne ihnen Bedeutung schenken zu müssen. Dem Sinn nach heißt es in der Mystik ebenfalls…, dass wir vom Baum der Erkenntnis essen müssen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen. REINES ERLEBEN und ABSOLUTES BEWUSSTSEIN verbinden sich jedoch nicht erst in den Erleuchteten oder den kurzen Momenten profaner Erleuchtung. In der ersten, der jugendlichen Verliebtheit werden wir nicht zu Kindern, sondern sind es noch halb, und schmecken doch schon zwei Sorten der Erkenntnis.“

Durch die Liebe kann eine reife Art von Erkenntnis entstehen, eine reine, absolute Erkenntnis, in der die Wirklichkeit ohne Trennung in unser Erleben mithineingenommen ist. Kinder sind ganz eins in ihrem Erleben. Man könnte aber sagen, dass sie dabei nichts von ihrem Erleben und dem Glück des Erlebens merken, weil sie sich verlieren. Auch wenn uns die reifere Stufe der Reflexion das Glück unseres Erlebens bewusst erleben lässt, so scheitern normalerweise alle Versuche der Vereinigung, Auslöschung, des Ertrinkens gerade durch die Reflexion. Trotzdem eröffnet die Liebe ansatzweise oder erahnbar eine Art von erkennendem Erleben, bei der keine Trennung mehr geschieht, sondern Einheit erreicht wird. Das sind die glücklichsten Augenblicke überhaupt im menschlichen Leben, weil sich unsere Sehnsucht erfüllt.

So eine Art von Erkenntnis wird für die glückseligmachende Schau versprochen, die der Mensch in der Ewigkeit erleben wird. Als Vollendung unserer jetzigen Erkenntnisweise ist sie dann nicht mehr Beseelung, sondern Seligkeit. In der Liebe wird also jetzt schon etwas vorweggenommen, eine besondere Beseelung, die zum Wesen der Wirklichkeit vordringen möchte, in ihre göttliche Tiefe. Aus Liebe erwächst tiefere Erkenntnis. Gott schenkt uns den Heiligen Geist, damit wir durch die Liebe zum Erkennen seiner Wirklichkeit streben.

Pfingsten ermuntert uns, unserer Sehnsucht zu vertrauen, den Weg der Liebe zu gehen und an ihm festzuhalten, sich vom Geist tragen zu lassen, den Geist weiterzugeben und dadurch zu entdecken, was uns sonst verborgen geblieben wäre. Ist es nicht wunderbar, dass wir die Erfüllung jetzt schon kosten können?

Vergesst darum die Liebe nicht!

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† Domguia Tchoumo Guy Blaise