Mein Wunschzettel zu Weihnachten

Vor kurzem sah ich eine Fernsehsendung, in der Dr. Richard Oetker interviewt und zu seiner Entführung vom 14. Dezember 1976 befragt wurde. Die meisten kennen die grausamen Einzelheiten dieses Verbrechens: Fabrikantensohn Oetker wurde als junger Mann fast 48 Stunden lang in einer kleinen dunklen Kiste gefangen gehalten. Er erlitt Stromstöße und Knochenbrüche, drohte zu ersticken und hätte die brutale Geiselnahme beinah nicht überlebt. Bei all dem, was dieser heute 70-Jährige durchmachen musste, hatte ich erwartet, dass er mit Hass und Verbitterung auf die schlimmsten Tage seines Lebens zurückblickt. Zu meiner Verwunderung tat er dies nicht. Ich nahm einen Menschen wahr, der tiefe seelische und körperliche Narben davongetragen hatte, der jedoch Worte sprach, wie man sie nur mit einem weit geöffneten Herzen artikulieren kann.

Ja. Ein weit geöffnetes Herz — das ist das, was ich mir in diesem Jahr vom Christkind wünsche, so wie ich es auch den Menschen in St. Stephanus wünsche, die wie ich wütend oder traurig darüber sind, dass wir das bevorstehende Weihnachtsfest erstmals ohne Pastor Laufmöller feiern müssen. Vor rund einem Jahr traf der Bischof die unbarmherzige Entscheidung, Thomas Laufmöller gegen seinen Willen und gegen den Willen seiner Gemeinde zu versetzen. Es war Advent. Es war inmitten einer höchst kritischen Phase der Corona-Pandemie. Mit welch beispielloser Herzlosigkeit das Bistum weiter vorgehen würde, sollte sich erst in den darauf folgenden Monaten offenbaren. Angesichts der bis heute immer wieder aufflammenden Wut über die Zwangsversetzung fällt es mir nicht leicht, immer mit einem weit geöffneten Herzen durch den Alltag zu gehen. Es erfordert ein gewisses Maß an Großmut, den ich nicht immer aufbringen kann.Natürlich kann ich die kleinen oder auch großen Verletzungen meines Alltags nicht mit dem ungeheuren Leid von Dr. Richard Oetker vergleichen. Aber wer es wie er trotz schmerzvoller Erfahrungen schafft, seinen Mitmenschen immer wieder mit offenem Herzen zu begegnen, der lässt zu, dass Liebe pulsiert, dass sie aus dem Inneren herausströmen und auch wieder zurückfließen kann. Vielleicht wäre es einfacher, ganz dicht zu machen, um weniger verwundbar zu sein. Aber was ist ein Herz noch wert, wenn es sich unwiderruflich verschließt?

Ich möchte mir daher ein Beispiel nehmen an Dr. Richard Oetker, an seiner bemerkenswerten Haltung. Denn bei allem kämpferischen Bestreben nach Wahrheit und Gerechtigkeit möchte ich das Wichtigste, was mich als Christin auszeichnen sollte, nicht verlieren: Ein weiches, warmes und waches Herz, dessen Tür und Tor für die Liebe zum Nächsten uneingeschränkt offen stehen sollte. So singe ich die letzte Strophe des Adventslieds „Macht hoch die Tür…“ (GL 218) in diesem Jahr besonders aufmerksam:

„O Komm mein Heiland Jesu Christ,

meines Herzens Tür dir offen ist,

ach zieh mit deiner Gnade ein,

dein Freundlichkeit auch uns erschein.“

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Rorate-Andacht “Im Dunkeln unsrer Nacht entzünde das Feuer”