Genn lässt die Luft raus

Angela Merkel hat in ihrer viel beachteten Rede zum Festakt der Deutschen Einheit ausgeführt: „Demokratie ist nicht einfach da. Sondern wir müssen immer wieder für sie miteinander arbeiten, jeden Tag“. Manchmal, so fürchte sie, „werde mit den demokratischen Errungenschaften etwas zu leichtfertig umgegangen“. Woran ich dabei unwillkürlich denken musste, ist die bischöfliche Aussetzung der Pfarreiratswahlen für St. Liudger, und wie das Bistum es wieder einmal geschafft hat, dieses so harmlos aussehen zu lassen, als wenn einfach nur der Nachtisch heute mal ausfallen muss.

Es werden weder Gründe für die Aussetzung der Wahl genannt noch wird erklärt, welche Kriterien angelegt werden, die eine Wahl wiederermöglichen würde aus Sicht des Bischofs. Übersetzt auf die Bundespolitik wäre das so, als hätte die oben zitierte Angela Merkel nach dem Absinken der CDU in den Umfragen einfach die Bundestagswahl so lange verschoben, bis sich die Zeiten aus ihrer Sicht wieder gebessert haben würden.

In der Presse liest man davon übrigens nichts. Nicht relevant genug? Ich meine doch! Das Bistum selbst hat ja für seine bistumsweiten Wahlen eine eigene Werbekampagne. Da heißt es über die Relevanz dieser Wahlen:
Und ohne die beiden demokratisch legitimierten Laiengremien [Anm.: Kirchenvorstand und Pfarreirat] ist eine Pfarreileitung für uns undenkbar. Verantwortung gemeinsam zu tragen und unser Gemeindeleben aktiv mitzugestalten ist, heute wichtiger denn je.“, intoniert dazu Dr. Klaus Winterkamp – bischöflicher Generalvikar – und selbstverständlich Mitorganisator der Nicht-Wahlen in unserer Groß-Pfarrei.

Weiter schreibt er „Nutzen Sie beide Gremien als Chance, eine lebendige Kirche in Mitverantwortung der Laiinnen und Laien zu leben und zu gestalten.“ Diese Chance wird den Mitgliedern von St. Liudger mit dem Bischofsschreiben vom 28.09.21 genommen. Aber warum überhaupt?

Was will der Bischof damit verhindern?
Dass die liberalen Kräfte zu viel Einfluss in der Großpfarrei erhalten? Und selbst wenn dem so wäre, kann man denn Wahlen einfach so ausfallen lassen, weil das zu erwartende Wahlergebnis unter Umständen nicht beliebt? Oder soll der neue leitende Pfarrer erst einmal freie Hand haben und sich im Laufe der Zeit einen Pfarreirat nach seinen oder den bischöflichen Wünschen bilden?

Aber in einem Rechtsstaat wie Deutschland wird man gegen so eine bischöfliche Verfügung ja sicher Rechtsmittel einlegen können. Die Amtskirche ist doch kein rechtsloser Raum! Nein, ist sie nicht – es sei denn: man ist ein Laie.
Aber selbst, wenn ein Einspruchswesen vorgesehen wäre, wir haben ja auch schon gelernt, dass die vorgeschriebene Schiedsstelle nach dem mehrheitlichen Rücktritt des Pfarreirats auch nicht angerufen wurde.

Mein Fazit: der Bischof kann in schöner alter Tradition Pius des IX. machen, was er will. Partizipation der Laien gibt es nur in Form von Information, wobei er selbst eine Begründung schuldig bleibt – aber auch das ist ja ein hinlänglich bekanntes Muster.

Norbert Lüdecke, Professor für Kirchenrecht in Bonn („Die Täuschung“) nennt den synodalen Weg eine „Partizipationsattrappe“, weil den Laien das Gefühl vermittelt wird, man könne mitreden, aber mitentscheiden darf man eben doch nicht. Die Pfarreimitglieder in St. Liudger dürfen nun nicht einmal mehr einen Pfarreirat wählen. Ein weiterer Beweis für bischöfliche Demokratiephobie, wie Lüdecke es treffend nennt: „Sie entwickelten Konkurrenzängste und Kontrollbedürfnis und vor allen Dingen etwas, das sich wie ein roter Faden bis heute durchzieht: eine Demokratie- und Parlaments-Phobie. Sobald der Eindruck entstand, das Selbstbewusstsein könnte in Richtung Entscheidenwollen gehen, dann wuchs der Argwohn.“

Ich würde sagen, übertragen auf das Bild von Lüdecke, ist es von Bischof Genn ein Stück weit ehrlicher, uns nicht erst etwas vorzuspielen, sondern direkt die Luft aus der Partizipationsattrappe zu lassen.

In Ihrer Rede hat Angela Merkel alle aufgerufen, die Demokratie nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern jeden dazu aufgerufen, etwas dafür zu tun. Mich hat das motiviert, heute zumindest einen Versuch zu starten. Ich habe eine Depesche über die Alpen geschickt, wobei ich nicht vermessen genug bin, hierin irgendeine Hoffnung zu hegen.

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Die Angst vor dem Volk Gottes