Die “heilige” katholische Kirche

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was eigentlich folgendes Bekenntnis im apostolischen Glaubensbekenntnis bedeuten soll und ob Sie es ohne Bedenken geloben oder beten können: „Ich glaube... die heilige katholische Kirche“? Mir ist diese Formulierung etwas unvertraut. Man geht meist davon aus, dass es „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“ heißen müsste. Diese Formulierung ist aber den Bekenntnissen zu Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist vorbehalten. Damit man die göttliche Trinität nicht mit ihren Werken verwechselt, fehlt das „an“ im Falle der Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen, der Vergebung der Sünden, der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens. Was also bedeutet es, die heilige katholische Kirche zu glauben? Ich glaube beispielsweise eine bestimmte Lehre. Das heißt, dass ich ihren Inhalt für wahr und damit für wirklichkeitsgemäß halte. Ist die heilige katholische Kirche folglich auch etwas, das der Wirklichkeit entspricht? Ist die katholische Kirche wirklich eine heilige Kirche? Darf ich das glauben?

Ich vermute, dass die katholische Kirche heilig sein soll, weil sie in einer besonderen Beziehung zu Gott steht. „Im Alten wie im Neuen Testament meint ‚heilig‘ das Ausgesondertsein von Gott und für Gott im Gegensatz zum ‚Pro-fanen‘ (= vor dem ‚fanum‘, dem geheiligten Bezirk, Liegenden)“, stellt Hans Küng klar. Allerdings gibt es im Neuem Testament keine abgesonderten heiligen Bezirke, keine Institutionen, die ihre Heiligkeit aus sich selbst heraus erschaffen. Heiligkeit ist Küng zufolge vielmehr als Grundhaltung in allen Bereichen des Lebens zu verstehen, als eine „ganzheitliche Orientierung am Willen des ‚heiligen‘ Gottes selbst“. Jesus Christus hat eine Gemeinschaft derjenigen, die diese Grundhaltung vertreten möchten, ins Leben gerufen. Sie ist „Sakrament der verbürgten Nähe Gottes“, schreibt Theodor Schneider. Sie ist ein Raum, in dem die Menschen Gottes Liebe begegnen können, und zwar in seinen Gnadengeschenken wie in der Begegnung der Menschen untereinander. Es war das Anliegen von Jesus Christus, dass die Menschen in dieser Gemeinschaft an die Liebesbotschaft Gottes glauben, sie weitervermitteln und ihr gemäß leben. Er hat sie aufgefordert, sich in Besinnung auf die Liebe Gottes umeinander zu sorgen, einander zu tragen und zu stärken, sich füreinander einzusetzen. Es war sein Ziel, die Menschen heil zu machen. Daran sollen alle, die zu dieser Gemeinschaft gehören, mitwirken.

Wenn ich mich in diesen Zeiten in der Wirklichkeit umschaue, so bewegt sich die Kirche mit stetem Schritt in Richtung Unheiligkeit. Natürlich wird an vielen Stellen immer noch das Heil verkündet, das Gott den Menschen durch seine Liebe schenken möchte. Aber reicht das dafür aus, sich selbst als heilig zu qualifizieren – auch wenn man keine Gemeinschaft mehr ist, die diese Liebe selbst verwirklicht? Genügt eine oberflächliche Gottbezogenheit? Der Kirche ist es über Jahrzehnte gelungen, das Bild ihrer Heiligkeit vor allem dadurch aufrechtzuerhalten, dass sie die Verbrechen in den eigenen Reihen unter den Teppich gekehrt hat. Gern ist sie in diesen Jahren als moralische Instanz aufgetreten, die sich zu den Vergehen anderer geäußert hat oder die eine vermeintliche Sünde wie eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft anprangern musste. Umso reiner schien sie selbst dadurch zu strahlen.

Wer im Laufe der Kirchengeschichte nicht mit der Lehre der katholischen Kirche übereinstimmte, wurde mal verbrannt, mal wurden seine Schriften auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, mal wurde ihm selbst der Mund verboten. Ich habe mich vor Jahren etwas gewundert, als ich las, dass man den Index der verbotenen Bücher vor allem aus dem Grund eingestellt hat, weil irgendwann einfach zu viele Bücher erschienen sind. Man kam nicht mehr hinterher. Eine traurige Erklärung oder? Das bedeutet nicht, dass die Kirche heute ihre Methoden ad acta gelegt hat. Hätte sie damals eingesehen, dass der Versuch, divergierende Ansichten durch Verbot zum Schweigen zu bringen, ein Irrweg ist, hätte dafür vielleicht eine Chance bestanden. Aber ohne Einsicht macht sie Menschen, die ihr in die Quere kommen, weiterhin mundtot. Erst vor einigen Tagen ist ein Redaktionsmitglied unserer Homepage auf der Facebook-Seite der bistumseigenen Zeitung „Kirche und Leben“ gesperrt worden, nachdem er darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Aktion „Nightfever“, die in einem Artikel vorgestellt wurde, von der Gemeinschaft Emmanuel ins Leben gerufen wurde. Mir selbst wurde nach meinem Artikel „Gehorche keinem“ über zwei Ecken die Warnung zugetragen, dass das neue Seelsorgeteam von St. Stephanus gezwungen wird, sich von Stephanus 2.0 zu distanzieren, wenn noch einmal ein ähnlicher Artikel – in dem der Bischof angeblich beleidigt wird – auf unserer Homepage erscheint. Ist Erpressung eine redliche Methode, wenn man vorgibt, heilig zu sein?

Ein Blick in die Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Münster macht auch die letzten Illusionen der Heiligkeit der Kirche zunichte. Auf der einen Seite wird der Priester als Stellvertreter Gottes überhöht. So zitierte Joseph Ratzinger folgende Aussage des Pfarrers von Ars anlässlich seines Todestages: „Nach Gott ist der Priester alles!… Ohne den Priester würden der Tod und das Leiden unseres Herrn zu nichts nützen. Der Priester ist es, der das Werk der Erlösung auf Erden fortführt.“ Kardinal Marx wiederum gratulierte dem damaligen Weihbischof Rainer Maria Woelki zu dessen Silbernem Priesterjubiläum mit folgenden Worten: „Die Präsenz des Priesters im Volke Gottes ist ein Zeichen der Gegenwart Christi in unserer armen Welt“. Angesichts des zunehmenden Vertrauensverlustes im Bistum Köln und des aktuellen Vorwurfs, Woelki habe den Betroffenenbeirat instrumentalisiert und eine Liste mit potentiellen Missbrauchstätern geschreddert, könnte seine „Heiligsprechung“ durch Kardinal Marx die Wirklichkeit nicht stärker verfehlen. Dass sich Joseph Ratzinger als Erzbischof laut Münchner Missbrauchsgutachten in fünf Missbrauchs(verdachts)fällen nicht regelkonform verhalten haben soll, ist hier noch als Fußnote zu erwähnen.

Dem Priester soll also eine besondere Würde zukommen. Er verfügt durch die Weihe über eine Gnadengabe, die ihn von allen anderen Gläubigen absetzt. Das Gutachten referiert, wie schon mit der Tatsache, dass man zum Priester landläufig berufen wird, die soziale Absonderung des späteren Priesteramtskandidaten von seinen Altersgenossen beginnt. „Wer es ernst meint mit seiner Berufung, wird sich beständig fragen, ob die Versuchungen des Lebens – etwa sexuelle Bedürfnisse – dieser nicht im Wege stehen. Sexualität wird dadurch bereits sehr früh als Bedrohung der eigenen Lebensentscheidung erfahren und es wird für den Priesteramtskandidaten immer schwerer, ein reflektiertes, selbstbestimmtes Verhältnis zu seiner eigenen Sexualität aufzubauen“, heißt es im Gutachten. Gleichzeitig wird Stefan Jürgens zitiert, der die Folgen dieses unreifen Umgangs mit der eigenen Sexualität in der Priesterausbildung beschreibt. Manche seiner Mitstudenten wurden „regelmäßig übergriffig, zumindest verbal, um herauszufinden, wer von den Kommilitonen wohl ihrer eigenen sexuellen Neigung entsprach. Irgendwer schlich sich immer in irgendwelche Zimmer oder wollte mit irgendwem duschen. Mancher Heimatpfarrer besuchte und befummelte seinen ‚Schützling‘, mancher hochrangige Geistliche schleppte Priesteramtskandidaten ab, darunter Ahnungslose und Karrierebewusste. Einer der damaligen Direktoren sagte, man müsse aufpassen, ‚wer in diesem Haus als nächster mit dem Hintern wackelt‘.“ Solche Vorfälle mögen auf einer Klassenfahrt von 14-jährigen Jugendlichen durchgehen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass die heilige katholische Kirche von Priestern durchtränkt ist, die durch eine solche Schule gegangen sind, dann sehe ich, dass diese im Berufsleben nicht durchgängig zu einem gesunden Umgang mit der eigenen Sexualität fähig sein können. Wenn dabei gleichzeitig das Ansehen der heiligen Institution und die Unantastbarkeit des Priesters gewahrt werden müssen, ist der Weg zur Vertuschung von Fällen, in denen Priester übergriffig geworden sind, nicht weit. Dass an ihre Opfer fast keiner der Verantwortlichen der Kirche gedacht hat, verdreht die Heilsbotschaft Jesu ins Gegenteil.

Ich muss zugeben, dass mir diese Studie das verbliebene Vertrauen in eine Heimat in der Kirche geraubt hat. Menschlich zutiefst enttäuscht bin ich gleich von einer ganzen Reihe von Priestern, vor allem von Bischof Reinhard Lettmann, mit dem ich während meiner Studienzeit einige Abende verbracht und den ich immer geschätzt habe. Zu zahlreich sind die Fälle seines Versagens, als dass ich sie hier nun aufzählen könnte. Mich beschleicht das Gefühl, als habe er mir eine Art von Kirche präsentiert, die nur ein Schein, eine Fassade war, wo Freundlichkeit nach außen gezeigt wurde, die im Inneren aber voller Verbrechen war. Wer wie ich erkennt, dass er dermaßen getäuscht wurde, der wird derartig enttäuscht, dass es niemals wieder gutgemacht werden kann. Wenn ich dann im Gutachten davon lese, dass Bischof Felix Genn im Falle von Kinderpornographie kein „reales Opfer“ anerkennt, dann frage ich mich, in welcher Realität ich hier gelandet bin. Hat Genn jemals kinderpornographische Fotos oder Filme zu Gesicht bekommen, gesehen, wie Kinder gequält werden, wie ihre Seele zerstört wird? Dass ich nun weit davon entfernt bin, der Kirche ihren Heiligenschein zu glauben, ist nur selbstverständlich.

Mit und seit der Studie wird der Kreis der Involvierten immer größer. Der Hinweis an der Münsteraner Bischofsgruft, sie bleibe geschlossen, bis man überlegt habe, in welch angemessener Form man mit den Gräbern der verstorbenen Bischöfe, die sich der Vertuschung von sexuellen Missbräuchen schuldig gemacht haben, umgehen solle, trägt das Siegel des Dompropstes. Gegen ihn ist gerade selbst eine kirchenrechtliche Voruntersuchung wegen grenzüberschreitendem, unangemessenem Verhalten im Gange. Unterschrieben ist der Hinweis vom Domkapitel, zu dem bis zur Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens beispielsweise Theodor Buckstegen gehörte. Ihm wird vorgeworfen, als Personalchef des Bistums Fälle von sexuellem Missbrauch nicht sanktioniert zu haben. Gleichermaßen fahrlässig ging Werner Thissen als Personalchef und Generalvikar mit Missbrauchstätern um. Auf der Seite des Bistums wird er weiterhin als Ehrendomkapitular geführt. All dies konterkariert den Hinweis an der Gruft natürlich. Befinde ich mich in einem Irrenhaus?

Nun habe ich nicht den Anspruch, dass die Kirche nur eine Kirche der Heiligen sein darf, dass Krisen vielleicht gar nicht so unnütz sind, weil durch sie ein „Heiliger Rest“ (Stefan Zekorn) zurückbleibt, der einen Neuanfang beginnen kann. Die Kirche setzt sich aus einer Gemeinschaft von Menschen zusammen, die alle ihre Schwächen und Fehler haben. „Die Heiligkeit der Kirche wird offensichtlich nicht durch ihre Glieder und deren moralisch-religiöses Tun und Lassen begründet“, bestätigt Küng. Aber bedeutet das, dass in der Kirche als Institution völlig selbstverständlich die Botschaft der Liebe, die das Zentrum der christlichen Gemeinschaft sein sollte, verraten werden darf, um diese Institution als möglichst heilig erscheinen zu lassen? Ist es wirklich zielführend für eine Kirche, wenn beispielsweise ich kaum noch den Transzendenzbezug im Gottesdienst spüre, weil die politischen Auseinandersetzungen über die Missstände alles überstrahlen bzw. überschatten? Damit möchte ich nicht die Auseinandersetzungen kritisieren, sondern die große Anzahl an Missständen, die sie erzwingen. Wie soll aber nun, wo auch noch das Erlebnis der Transzendenz in den Gottesdiensten der katholischen Kirche fehlt, an ihrer Heiligkeit festgehalten werden? Ihr Gottesbezug scheint mehr und mehr zu einem Nichts zusammenzuschrumpfen.

Vor einigen Tagen las ich, wie die Autorin Johanna Beck bei der Lektüre eines Ausschnittes aus dem Buch Ezechiel ins Stocken geriet. Sie wurde immerfort an die Vorgänge in Köln und anderswo erinnert. Das geht mir ähnlich. In der Schrift heißt es: „Das Wort des Herrn erging an mich…: Weh den Hirten Israels, die sich selbst geweidet haben! Müssen die Hirten nicht die Schafe weiden?… Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, das Kranke habt ihr nicht geheilt, das Verletzte habt ihr nicht verbunden, das Vertriebene habt ihr nicht zurückgeholt, das Verlorene habt ihr nicht gesucht; mit Härte habt ihr sie niedergetreten und mit Gewalt. Und weil kein Hirte da war, zerstreuten sie sich und sie wurden zum Fraß für alles Getier des Feldes, als sie zerstreut waren. Meine Schafe irren auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel umher und über die ganze Erdoberfläche sind meine Schafe zerstreut. Doch da ist keiner, der fragt, und da ist keiner, der auf die Suche geht… Siehe, nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe aus ihrer Hand zurück. Ich mache dem Weiden der Schafe ein Ende. Die Hirten sollen nicht länger sich selbst weiden: Ich rette meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein.“ (Ez 34,1-10)

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass neben allen Verbrechen auch Gutes in der Kirche geschieht. Aber trotzdem kommt es mir schief vor, dass die katholische Kirche sich immer noch heilig nennt, während Massen an Menschen ihr Vertrauen und ihre spirituelle Heimat durch die oben angeführten Verbrechen verloren haben. Wo ist die geforderte Grundhaltung der Orientierung am Willen Gottes? Wann besinnt die Kirche sich endlich auf ihren Auftrag? Wann versucht sie, die Verlorenen zurückzugewinnen? Wann sorgt sie sich um die Missbrauchten und Enttäuschten? Wann schenkt sie den Menschen wieder Heil statt Unheil? Wann lebt sie die Liebe endlich, wegen der Jesus sie gegründet hat?

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Herr, Du schenkst mir Würde

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Kinder-Gottesdienst in St. Stephanus